Der Atem der Gerechtigkeit: Zum Weltrechtstag

Der Atem der Gerechtigkeit: Zum Weltrechtstag

Sie wachen eines Morgens auf und alles ist an seinem Platz: Ihr Telefon liegt noch auf dem Nachttisch, Ihr Auto steht vor der Tür, auf Ihrem Bankkonto ist noch das Geld von gestern. Niemand ist gekommen und hat Ihnen gesagt: „Heute beschlagnahmen wir Ihr Vermögen.“ Was für ein Wunder, nicht wahr?

Eigentlich nicht.

Es ist das Ergebnis der stillen Arbeit der Justiz. Sie ist unsichtbar, macht keine Schlagzeilen, aber sie sorgt jeden Tag für Ausgewogenheit in unserem Leben. Deshalb sollte der 10. Juli, der Weltjustiztag, nicht nur ein Tag für Anwälte und Richter sein, sondern für uns alle. Denn wo Recht ist, ist Frieden, und wo Recht ist, ist Gerechtigkeit möglich.

Recht besteht nicht nur aus dicken Büchern voller Gesetzestexte, Menschen in Roben und Gerichtssälen. Recht ist ein unsichtbarer Schutzschild, der einem Arbeitnehmer, der seine Rechte einfordert, einer Frau, die sich gegen Belästigung wehrt, oder einem Jugendlichen, der seine Meinung frei äußern will, zur Seite steht. Wenn es Recht gibt, wird nicht die Stimme der Mächtigen gehört, sondern die Stimme der Gerechten. Wenn es Recht gibt, wird Angst durch Vertrauen ersetzt.

Leider sind die Realitäten auf der Welt weit von diesen Idealen entfernt. In einigen Ländern werden Menschen für einen einzigen Tweet zu jahrelangen Haftstrafen verurteilt. In einigen Regionen wird die Justiz zum Instrument der Machthaber, und nicht die Gerichte, sondern die Paläste entscheiden. In diesen Systemen, in denen das Recht instrumentalisiert wird, ist Gerechtigkeit kein Wert mehr, sondern eine Bedrohung.

Dies stürzt nicht nur Einzelpersonen, sondern ganze Gesellschaften in die Dunkelheit. Kriege, Korruption, Diskriminierung, gewaltsames Verschwindenlassen und Folter … All diese Verbrechen gegen die Menschlichkeit werden in der Regel erst durch die Aussetzung des Rechts möglich. Wenn an einem Ort das Recht schweigt, werden zuerst die Freiheiten eingeschränkt, dann die Menschen.

Rechtslosigkeit schadet nicht nur dem Einzelnen, sondern legt auch den Grundstein für generationenübergreifende Traumata, Unsicherheit und Polarisierung.

Gerechtigkeit hingegen ist für jeden Menschen, dessen Gewissen nicht abgestumpft ist, nicht nur ein Konzept, sondern ein Bedürfnis. Ein Grundbedürfnis, das eines Tages für alle Menschen notwendig sein wird… Wahre Gerechtigkeit ist ein Gleichgewicht, das trotz Feindseligkeit nicht ins Wanken gerät und trotz Freundschaft nicht ins Wanken gerät. Gerechtigkeit, die nicht von Hass geblendet ist und sich nicht von Liebe blenden lässt, ist eine Tugend, die aus dem Inneren des Menschen herausstrahlt.

Wo es kein Recht gibt, spricht die Gewalt, und wo die Gewalt spricht, wird das Recht verletzt. Ein System, das Recht und Gerechtigkeit nicht über alles stellt, kann nicht von Dauer sein. Denn das Recht ist heilig, und keine Erinnerung darf ihm geopfert werden.

Gerechtigkeit gewinnt erst dann an Bedeutung, wenn sie nicht nur vor Gericht, sondern auch im Herzen der Menschen Urteile fällt. Denn „das Gewissen ist das höchste Gericht“. Leider verlieren in manchen Gesellschaften die Gerichte ihr Gewissen, und mit ihnen verlieren auch die Menschen ihre Hoffnung. Dabei ist Recht eine mit Barmherzigkeit durchdrungene Vernunftleistung. Gerechtigkeit ist nicht nur Bestrafung, sondern auch das Bemühen, das Gute zu bewahren.

Das Recht funktioniert jedoch nicht allein durch seine Existenz. Die Waage der Gerechtigkeit bleibt durch die Sensibilität der Gesellschaft im Gleichgewicht. Die Vorrangstellung des Rechts erhält ihre Bedeutung nicht nur durch schriftliche Regeln, sondern auch durch die Einhaltung dieser Regeln durch alle – vom höchsten bis zum einfachsten Bürger. Andernfalls wäre das Recht nur eine Fassade, eine leere Hülle, die nur dem Schein dient.

Heute, am Weltrechtstag, müssen wir uns fragen: Funktioniert das Recht in der Gesellschaft für alle gleich? Steht die Tür zur Gerechtigkeit wirklich allen offen? Und noch wichtiger: Was tun wir, damit diese Tür offen bleibt?

Denn Recht wird nicht nur in Gerichtssälen gelebt, sondern auch auf der Straße, in der Schule, zu Hause und am Arbeitsplatz. Es ist das Gewissen der Gesellschaft. Wenn es schweigt, wird die Stimme aller gedämpft.

Und vergessen wir nicht:

„Wenn das Recht Ungerechtigkeit nicht verhindern kann, dient es nur den Mächtigen.“

Heute ist ein Schritt, um dieses Sprichwort umzukehren. Mit dem Wunsch nach einer Welt, in der das Recht wirklich für alle gilt…

Leave a Comment

Comments

No comments yet. Why don’t you start the discussion?

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert